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In der theologischen Mediävistik, die traditionell aus vorwiegend dogmengeschichtlichem Interesse betrieben wird, findet die scholastische Predigt als Quellengattung meist wenig Beachtung. Daß dies sachlich nicht immer berechtigt ist, möchte der folgende Beitrag exemplarisch in der Analyse einer Serie von Osterpredigten des Kardinals Odo von Châteauroux († 1273) aus Cod. Rom, AOP XIV, 32-33, nachweisen. In diesen Sermones lassen sich zahlreiche formale wie inhaltliche Elemente aufzeigen, die für den Predigtforscher erst dann korrekt interpretierbar werden, wenn man sie in den Kontext der systematisch- theologischen Arbeit des 13. Jahrhunderts einordnet. Am Beispiel einer Ansprache zum Osterdienstag wird gezeigt, wie das Eindringen systematischer Elemente in die scholastische Predigt bis zur Übernahme einer formgerechten Quästion zu einem Thema reichen kann, das regelmäßig auch in der Sentenzen- oder Summenliteratur der Zeit diskutiert wird. Hier erweisen sich die Predigten Odos zugleich für den Theologiehistoriker als unverzichtbar, um das bislang wenig bekannte theologische Profil ihres Verfassers exakter nachzeichnen zu können.