Über den Umgang mit Lob und Tadel
Normative Adelsliteratur und politische Kommunikation im burgundischen Hofadel, 1430-1506
Abstract
Der burgundische Hofadel des 15. Jahrhunderts kannte eine Vielzahl von Texten, die ihm von adligem Heldentum und Ruhm erzählten, ihm das Ungenügen der privilegierten Geburt vorhielten und ihn zu sittlicher Überlegenheit anspornten. Doch wie äußert sich die Wirksamkeit dieser normativen Adelsliteratur? Das vorliegende Buch verortet sie in einem bestimmten Teil des Leserverhaltens, nämlich in der persuasiven politischen Kommunikation. Diese These wird durch drei Argumente gestützt. Erstens enthält die normative Adelsliteratur nur selten konkrete Handlungsanweisungen. Vielmehr bietet sie eine Referenzordnung der Schlüsselbegriffe, Argumente, Autoritätenzitate und Anekdoten, mit deren Hilfe der Leser seine Werturteile bilden und begründen kann. Zweitens finden sich diese literarisch vermittelten Referenzwerte genau dort in der politischen Kornmunikation wieder, wo Werturteile vermittelt wurden. Dies war der Fall, wenn etwas legitimiert wurde, noch mehr aber, wenn das Ansehen von Personen gestaltet wurde. Gerade solche bewertende Kommunikationshandlungen waren drittens im burgundischen Hofadel in wesentlichen politischen und sozialen Feldern erfolgsrelevant.
Auf diese Weise gelingt ein anderer Blick auf das moralische Selbstverständnis des burgundischen Hofade1s. Die typischen Adelstraktate, die eigenen Versuche einzelner Adliger auf diesem Gebiet, das komplexe Verhältnis zur zeitgenössischen Chronistik, aber auch die politischen Verfahren im Orden vom Goldenen Vlies rücken ins Zentrum. Hier tritt der Adel im Umgang mit Wertvorstellungen und deren Zuschreibung zutage. Dieser Umgang mit Lob und Tadel- und dessen politische Relevanz - tragen zum Verständnis bei, weshalb der burgundische Hofadel seine normative Selbstvergewisserung mit solcher Hingabe inszenierte und weshalb er so streng auf moralische Konformität achtete.